Die zerbrochene Penthesilea

Die 13. Kleist Festtage vom 25. - 29. Juni 2003 in Frankfurt / Oder

Auf der Hinterbühne des Kleist Forums, dem Theaterneubau, welcher von der Messe- und Veranstaltungs GmbH Frankfurt (Oder) betrieben wird, spielt in Eigenregie und Fassung mit sparsamer Gestik Mathias Noak das Beste aus der Penthesilea, Königin der Amazonen, spielt Achilles sowie diverse weitere Figuren vor rund drei Duzend Zuschauern knapp über zwei Stunden ohne Pause. Die Bühne, ein Rechteck aus gelben Brandenburger Sand, der Lieferfirma wird auf dem Waschzettel gedankt, ein Zentimeter dünn wie die Kulturschicht selbst. Das Kostüm: als Achilles ein bodenlanger, schwarzer Militärmantel mit silbern glänzenden Knöpfen, als Penthesilea ein rotes, verschmutztes enges Kleid mit Seitenschlitz, die Umzüge auf offener Bühne. Das Licht zumeist taghell, später bleibt im Sand ein Schatten und frappiert, aus dem sich der Darsteller längst erhoben hat. Noak baut sich während seines Spiels mit wenigen Requisiten, einem Stuhl, einer roten Rose, einer Blechbüchse, einem Räucherstäbchen einen kleinen Altar, zerstört ihn später, zerstreut Rosenblätter, sammelt sie wieder auf. Er schlägt die Wortschlachten in einer ungeheuren Konzentrationsleistung, benutzt zuweilen eine Wasserflasche zur nötigen Ölung der Stimme. Sein Schreigeflüster oft en face zur Tribüne wird teilweise durch die akustischen Verhältnisse der Spielstätte geschluckt, foltert so die bravouröse Aufmerksamkeit der Zuschauer. Sein Gesicht bleibt außer von "Blut" ungeschminkt, der androgyne Typus kommt der Doppelrolle gelegen. Die Frauendarstellung wirkt keine Sekunde peinlich, das Vorzeigen der "amputierten" Brust ist jedoch mindestens so hochkomisch, wie schon Goethe fand. Ist das Unsagbare der Geschlechterkampf in der eigenen Brust, einem Zwitter, Hermaphroditen gleich, und nah bei Kleist? Der Abend untersucht die Manipulation der Gesellschaft durch die Festlegung der Rollen. Was von den Amazonen euphemistisch "Rosenfest" genannt wird, wo Männer zum Samen-spender degradiert werden, Frauen nur lieben dürfen, was sie erobert haben. Kleist beschreibt die Unfähigkeit, unter solchen gesellschaftlichen Konventionen zu leben, zu lieben, sich zu reproduzieren, nimmt in Penthesilea konsequent den Suizid am Wannsee geistig vorweg. Mathias Noaks Versuch verdoppelt einerseits die Hürden Kleistscher Wortgewalt durch die Monologisierung, andererseits tritt das Zwiegespräch Kleists mit seinen Rollen erhellend hervor.
Getroffen vom Sparzwang der kommunalen Finanzen wird das Trauerspiel hier stark auf seinen Text reduziert. Wird zu einem elitären Konzentrat, das weniger ist, als es seien könnte. Reduziert auf einen Monolog wirkt es fast wie ein Botenbericht vom verlorenen gegangenen Frankfurter Theaterensemble aus kulturell besseren Zeiten.
"Helden und Köter und Frauen" nannte sich das populäre Freiluftspektakel des Titanick Theaters, welches bei freiem Eintritt rund neuntausend Menschen an zwei Abenden anlockte. Eine theatralische Großdemonstration, an einen alemannischen Fastnachtumzug erinnernd. Mit Fackeln, Leuchtraketen, bengalischem Feuer, einem penisartigen Ballon, einem Himmelbett am Kranhaken, drei Wagen, viel Blut und lauter Musik. Die pyromanische Truppe zeigte mit rund sechzig Mitwirkenden in tollen Kostümen und Masken, mit Pfeil, Bogen und Schwert, Amazonen mit bösem, wilden Blick und Griechen jaulend wie Hundeköter. Selbst der grobe Handlungsablauf der Penthesilea wurde den Frankfurtern zwar kaum sinnfällig, aber von den äußeren Effekten ließen sie sich gern begeistern. Sie sahen die fremden Akteure erstaunt und ihre alltägliche Umwelt mit anderen Augen. Dem Titanick-Spielern gelang es, Frankfurt zur Bühne zu machen, mehr noch: Zur nächtlichen Stunde verwandelt sie den Lenné - Park, Straßen und Markt, ja den ganzen Ort, welcher im letzten Krieg in Asche und Tristesse untergegangen ist, wieder mit Feuer für kurze Zeit in eine Stadt zurück. Der Preis dieser Wirkung: völliger Verzicht auf Kleists Worte, das Trauerspiel wurde ganz auf eine Pantomime reduziert.
Ein international besetztes Kolloquium im Kleist Museum sorgte für den geistigen Überbau, die "semiszenische" Voraufführung der Oper "Penthesilea" vom Schweizer Komponisten Othmar Schoeck in Kooperation mit dem Staatstheater Cottbus, dem Brandenburger Staatsorchester und der Opera na Zamu Szczecin war für Musikliebhaber. Für Tierfreunde gab es auf der Insel Ziegenwerder ferner eine französische Truppe "Salam Toto" mit sechs Pferden und einem Esel zu sehen, die unter der Bezeichnung "Penthesilée Suite Fantasy" die Leute lockte.
Drei Wochen lang druckte die Sparkasse auf Kontoauszügen Kleist Sätze wie: "Die Freiheit schenk´ ich dir", "Welch eine wunderbare Wendung" und "Was ist zu tun?", auf den Entsorgungsfahrzeugen der Müllwerke konnte man die Sprüche "War je ein Traum so bunt", "Haltet eure Erde fest", lesen.
Die 13. Kleist - Festtage im 750. Jubiläumsjahr der Gründung des Ortes wollten zugleich populär und experimentell sein und versuchten sich dabei ausgerechnet dem modernsten und radikalsten Drama Penthesilea zu nähern, ein Spagat. Die Veranstalter fanden, daß sich das neue Konzept (Straffung auf fünf Tage und ein Stück bzw. Thema) bewährt habe. Der Oberbürgermeister meinte hinterher zufrieden, man habe endlich den Menschen seiner Heimatstadt den Dichter "wirklich nahe gebracht". War es nicht eher eine Entfernung von Kleist? Zwar hätte jeder Frankfurter theoretisch die Möglichkeit, alle Veranstaltungen zu erleben und zu einem Gesamtbild zusammen zu setzen. Auseinander dividiert war Penthesilea viel weniger schmerzhaft und leichter zu konsumieren. Das Trauerspiel, so zerlegt in seine Bestandteile, zerbrochen in kleine Häppchen, für jeden, was er mag und verzehren möchte, ein echter kultureller Kannibalismus. Der Humus der Formation, die Kultur, in Erosion. Kleists Gedanke "Wir zerstören, was wir lieben" wurde hier schmerzhaft vorgeführt.


Carl Ceiss in: Theater der Zeit 9/2003

Alle Rechte beim Autor. Kontakt

Zurück zur Startseite: http://www.ceiss.de